Die ganze Insel ist auf den Beinen, wenn am 21. Februar das Biikebrennen gefeiert wird. Von den traditionellen Treffpunkten aus geht es mit Musik hinaus zu den alten Thingstätten und Feuerplätzen. Dicht säumen in Westerland die Zuschauer die Straßen, wenn der lange Zug sich mit klingender Marschmusik in Bewegung setzt.
Während sich die Kleinsten an ihren Laternen erfreuen, die aus frostklammen Händchen doch bald in Vaters warme Faust wandern, sind Fackeln bei den kleinen und großen Jungs beliebt. Wer ein wenig Bastelgeschick und ein traditionsbewusstes Elternhaus hat, hat sich bestimmt einen richtigen Stinkpott gemacht, der glimmend, schmökend und vor allen Dingen stinkend bis zum Wurf in das Biikefeuer der Stolz der Jungen ist.
An den Biiken werden Reden geschwungen und Lieder gesungen, in friesischer und deutscher Sprache. Mit einem Schluck aus der Pulle wird die Kälte bekämpft. Sie setzt in jenen Tagen oftmals noch einmal mit einem Schub polarer Herkunft ein. Sie vertreibt allerdings auch Nebel und Regen und sorgt für wunderbar klares Frostwetter, bei dem die Biiken der Nachbarorte- und Inseln weithin zu sehen sind.
Auf Sylt heißt es am 21. Februar: „Diar ken om bi Dai Naachtert iit“ – „Dann kann man bei Tageslicht Abendbrot essen“, und meint, dass die Sonne nun rasch höher steigt, das Frühjahr nicht mehr weit ist. Aus dem alten Opferfest für Wotan entstanden, später zum Abschied für die Seefahrer gefeiert, die über Amsterdam und Kopenhagen auf Walfang fuhren, ist ein Frühlingsfest geworden, in dem das Bekenntnis zum heimatlichen Brauchtum seinen alljährlichen Höhepunkt findet.
Soviel Gemüt aber setzen die Insulaner schnell einen realen Gegenpol zu. An keinem Tage im Jahr wird soviel Grünkohl mit Kassler, Speck und Kochwurst verspeist wie am Abend nach dem Biikebrennen. Die kleinen Klaren, die das schwerverdauliche Gericht dem Magen angenehmer machen sollen, fördern nicht gerade Traurigkeit. Bei Bier und Korn oder nördlichem Grog regen sich bei den angeblich so steifen Syltern die Tanzbeine.
Früher, wo nach Meinung einiger alles besser war, ging es anders zu. Da wurde gebadet, da wurden Haare gewaschen, da wurden Schuhe auf Hochglanz poliert oder das Petritagkleid noch einmal gebügelt. Heute schafft man das „auch so“, denn am nächsten Tag geht’s ja weiter. Der Petritag ist ein Tanzfest für groß und klein. Wenn sich auch die Jungs lieber am Naschstand beim „Schnoben“ aufhalten, als ihre kleinen Klassenkameradinnen zum Tanz aufzufordern, wozu gibt es Damenwahl?
In vielen Gaststätten drehen sich am Petritag schon am Vormittag die Kleinsten, schwofen die Größeren und am Abend haben die Wirte es eilig, damit nur alles wieder für die Erwachsenen parat ist. Der „Söl’ring Foriining“, der Sylter Verein, lädt zu Veranstaltungen mit kleinen Theaterstücken, Vorführungen und Döntjes der Trachtengruppe ein, bei denen es so gemütlich zugeht wie in alten Zeiten. Und da auf Sylt der Tanzsport gepflegt wird wie an wenigen Orten, mag sich ein Auswärtiger über die kesse Sohle wundern, die ihm vorgeführt wird. Sture Friesen? An Biikebrennen und Petritag zeigen sie, dass sie es nicht sind, sondern mit allen, die die Insel lieben, gern vergnügt und ausgelassen feiern.
Gedanken zur Biike 2015
Ob das „Vikke tare“ ( Wotan zehre ) der Heiden am Frühlingsfeuer vor der Christianisierung im 9. Jahrhundert oder „Biiki fan Söl, flami ap“ ( Biike von Sylt, flamme auf ) in unseren Tagen: Dieser Appell zeugte stets von einer tiefen Sehnsucht und Hoffnung auf Erneuerung.
Laut Aufzeichnungen im 18 Jahrhundert sprangen und tanzten junge Paare um das Feuer, um sich einander zu versprechen und um Fruchtbarkeit zu bitten. Berichten des Sylter Chronisten Henning Rinken zufolge versammelten sich vor 1760 die Seeleute am Tag nach der Biike in Keitum, um abzusprechen, wann man zu den großen Häfen lossegeln wollte und um Thing abzuhalten. Auch wenn einige Berichte nicht historisch belegbar sind, so weiß man doch, dass das Datum der Biike und des Petritages variierten, denn diese Feste fanden stets vor der Fastenzeit statt, die Biike war ein Fastnachtsfeuer.
Weder die Kriege der letzten Jahrhunderte, mahnende Pastoren und Reglementierung der Obrigkeit im 19 Jahrhundert haben es vermocht, die Freudenfeuer gänzlich zu löschen.
Der bekannteste Inselchronist C.P. Hansen zündete nach eigenem Bekunden als kleiner Junge mit einer Schar Kinder noch während des Biike-Verbotes nach Ende des Englisch-Dänischen Krieges 1811 heimlich ein Feuer in den Dünen an und bekam Schelte. Das hielt ihn aber Zeit seines Lebens nicht davon ab, sich für das Biiken einzusetzen und eine Renaissance einzuleiten. Mit seiner großen Liebe zu Sylt und der ihm innewohnenden Phantasie legte er seinen Landsleuten die Tradition des Biikefeuers sozusagen mit Ausschmückungen ans Herz. Albert Panten, der profundeste C. P. Hansen-Kenner sagt dazu: „Neuere Untersuchungen zeigen zwar, dass die seit C.P. Hansen kursierende Darstellung den Geschmack des Publikums zwar befriedigt, doch von der historischen Wahrheit sehr weit entfernt ist. Nichts desto trotz hat sich auf Sylt die alte Fassung als Sagengut durchgesetzt, gegen die historische Erkenntnis keine Chance hat.“
Wenn wir Sylter Friesen uns heute fragen, warum wir an der Biike festhalten sollten, dann fällt die Antwort wohl nicht allzu schwer. Tradition bedient stets das Bedürfnis nach Zusammenhalt und Zugehörigkeit. Habe ich starke Wurzeln, die mich erden, so kann ich auch fremden Traditionen und Religionen gegenüber tolerant sein und Gefühle nachvollziehen.
Gerade in einer Zeit, in der Menschen sich bloßstellen und aus einer diffusen Angst vor dem Fremden sogar auf die Straße gehen, ist die Stärkung eigener Traditionen notwendig und richtig. In Europa bemüht man sich um den Erhalt des Kulturgutes, die Nordfriesische Biike wurde in das „Immaterielle Kulturerbe“ aufgenommen. Viele traditionelle Veranstaltungen locken auch in unseren Nachbarländern tausende willkommene Besucher.
Trotz der heute immer wieder laut werdenden Schlagworte wie Überfremdung und Kommerzialisierung hat sich der jährlich wiederkehrende Ritus des Biikebrennens auf den Nordfriesischen Inseln halten können. Es ist zutiefst töricht, wenn Sylter am großen Interesse der Touristen herumnörgeln und die Biike als reines Einwohnerfest sehen wollen. Das Fernbleiben von der Biike aus Protest ist wohl die denkbar schlechteste Reaktion; Wo ist die Sylter Gastfreundschaft, wo unsere gepriesene Toleranz ? Tradition muss gelebt werden von den Menschen, die zu ihr gehören, nur so kann sie überleben. Wir haben es in der Hand.
Maren Jessen
Quellen: Albert Panten, Zur Geschichte des Biikebrennens